Mobiles Internet

Projektteam:

Prof. Dr. Volker Wittke, Dipl.-Sozw. Heidemarie Hanekop, Dipl.-Sozw. Andree Schrader

 

Zielsetzung des Teilprojektes und Ablauf

Ausgangspunkt des Teilprojektes war die These, dass von der Entwicklung neuer, drahtloser Übertragungstechnologien dann ein mit der Entwicklung des Internets vergleichbarer Innovationsschub ausgehen könnte, wenn diese Entwicklung – wie beim Internet – von der Herausbildung neuer Nutzungsformen auf Seiten der Anwender begleitet sein würde. Das Projekt zielte darauf ab, mögliche neue Nutzungsformen bereits in ihren Keimformen aufzuspüren, Entwicklungstrends aufzuzeigen und diese für die Gestaltung mobiler Anwendungen nutzbar zu machen. Im Zentrum der empirischen Untersuchungen standen Nutzungsstudien im Kontext der Entwicklung mobiler IuK-Anwendungen. Diese Studien wurden in Kooperation mit Anwendungsentwicklern prozessbegleitend durchgeführt. Die Nutzerforschung war als Teil des Innovationsprozesses konzipiert und zielte auf die frühzeitige, aktive Einbeziehung von Anwendern. Dabei konzentrierte sich das TP auf private Anwender.

In der ersten Projektphase wurden die Ausgangsbedingungen für die Herausbildung neuer mobiler Nutzungsformen untersucht. Hierbei ging es darum, einen Überblick über bisherige Formen mobiler Kommunikations- und Mediennutzung zu schaffen, die verfügbaren Informationen zu verdichten, auf dieser Grundlage zu beschreiben und Hypothesen über latente Bedürfnisse zu generieren, die durch neue mobile Anwendungen befriedigt werden könnten. Gleichzeitig wurde die Entwicklung neuer Anwendungen im Untersuchungsfeld verfolgt.

Auf dieser Basis wurden zwei Anwendungsfelder für Nutzungsstudien ausgewählt:

Lokalisierte und personalisierte Internetdienste: Nutzungsstudien über prototypische Anwendungen der Projektpartner aus der Wirtschaftsinformatik (siehe MI 1). Das methodische Design beinhaltete die Entwicklung von Anwendungsszenarien für die Testteilnehmer, deren Bewertung in teilstandardisierten Fragebögen erfaßt und in anschließenden Fokusgruppen diskutiert wurde. Bei der Entwicklung der „mobilen Stadtführung“ wurde dieses Instrument mehrfach eingesetzt, die Anwendung wurde anhand der Testergebnisse verbessert.

Mobiles Fernsehen (auf der Basis unterschiedlicher Übertragungstechnologien): Die erste Nutzungssttudie bezog sich auf ein bereits eingeführtes Angebot auf Basis von UMTS in Kooperation mit einem großen Mobilfunkanbieter. Die beiden anderen Nutzungsstudien erfolgten im Rahmen von Pilotversuchen einer Landesmedienanstalt, an denen 40 Technologie- und Inhaltsanbieter beteiligt waren. Hier wurden 2006 und 2007 Langzeitstudien mit insgesamt 300 Teilnehmern durchgeführt. Für die Langzeitstudien wurde ein umfangreiches methodisches Design mit Gruppenveranstaltungen, standardisierten Panel-Befragungen, Tagesnutzungsprotokollen, Fokusgruppendiskussionen und persönlichen Interviews eingesetzt.

Überblick über die Projektergebnisse

1. Ausgangspunkt: Mobile Nutzungsformen

Neue technische Möglichkeiten in Verbindung mit wachsender räumlicher Mobilität im Alltag haben im letzten Jahrzehnt zur Ausweitung und Ausdifferenzierung des Angebots mobiler Informations- und Kommunikationstechnologien geführt. Mit der Einführung breitbandiger drahtloser Übertragungstechnologien verbanden sich neue Anwendungsideen, deren Sinnhaftigkeit aus der Perspektive von Kunden und Anwendern allerdings fraglich war. Denn aus deren Sicht ist eine neue Technologie uninteressant, solange sie keine neuen alltagsrelevanten Nutzungsmöglichkeiten erschließt. Etablierte Nutzungsformen sind auf vielfache Weise mit Alltagspraxen verwoben, ihre Veränderung schließt daher immer auch die Veränderung dieser Praxen mit ein. Nutzungsformen verstehen wir dabei als gelungene Kombination von Übertragungstechnologie, Endgeräten, Diensten, Inhalten und den Nutzungspraxen der Anwender. Aus unserer Sicht schließen Nutzungsformen daher auch soziale Regeln, Konventionen und Normen ein, insofern haben sie aus sozialwissenschaftlicher Perspektive auch ein beharrendes, sich Veränderungen widersetzendes Element.

Neue mobile Anwendungen, so unser Ausgangspunkt, haben sich im Verhältnis zu etablierten Nutzungsformen zu bewähren. Dabei muss sich die Nutzung neuer Medien immer auch Raum im Gesamtbudget etablierter Mediennutzung schaffen. Denn sowohl die Zeit wie auch das finanzielle Budget der Anwender für Mediennutzung ist begrenzt. Was die mobile Mediennutzung angeht, müssen sich neue Medien daher gegen etablierten mobilen Medienkonsum behaupten. Hierzu zählt das Hören von Rundfunk und Musik sowie das Lesen. Die Nutzer haben diese Medien in unterschiedlicher Weise in den Alltagsverlauf integriert: Radio und Musik etwa sind typische „Nebenbei“-Medien, deren Nutzung andere Tätigkeiten oft über einen längeren Zeitraum begleiten, ohne dass man ihnen ständig Aufmerksamkeit widmet. Eine andere Form der Integration ist die Zeitverwendungstrategie: Nutzer füllen damit Zeitfenster im Alltag, bei deren Gestaltung sie durch äußere Rahmenbedingungen limitiert sind. So liest man etwa unterwegs, weil man Reise- und Pendelzeiten sinnvoll verwenden möchte. Hierfür geeigneter Medienkonsum muss robust gegenüber Unterbrechungen sein und sich später leicht fortsetzen lassen.

Mobile Anwendungen können entweder genuin neue Anwendungen bzw. Medien sein oder sie können sich aus der Übertragung etablierter Medien auf mobile Nutzungssituationen entwickeln. Die skizzierten Formen etablierten mobilen Medienkonsums sind aus der erfolgreichen Übertragung entstanden: Die mobilen Nutzungsformen unterscheiden sich nicht wesentlich von der häuslichen Nutzung und die somit fiel die Adaption in mobilen Nutzungskontexten leicht. Unsere These war, dass sich dies beim Internet wie beim TV deutlich anders stellt. Käme es auch hier zur schlichten Übertragung aus stationären, häuslichen Nutzungssituationen, dann wäre das „mobile Internet“ die normale Internetnutzung und „mobiles TV“ das normale Fernsehen, nur auf jeweils deutlich kleineren Endgeräten. Allerdings fordern beide Medien ein vergleichsweise hohes Maß an Aufmerksamkeit und sie sind bei der Zeitverwendung nicht beliebig skalierbar. Besonders krass stellen sich die Probleme beim mobilen Internet: Für das Surfen im Web sind interaktive Auswahlprozesse konstitutiv. Sie ermöglichen den gezielten und aktuellen Zugriff auf Inhalte – um den Preis komplizierter Navigationsanforderungen während der Rezeption. Zudem ist die übliche Navigationsform stark textbasiert, große Einschränkungen in der Bildschirmfläche machen die Navigation extrem schwer und zeitaufwendig. Beim mobilen TV – so unsere Vermutung vor den Nutzungsstudien – dürfte die Miniaturisierung der Endgeräte ein für Nutzer akzeptables Fernsehen deutlich erschweren, allerdings fällt hier das Navigationsproblem weg. Während man beim mobiles Fernsehen also die Übertragung etablierter Nutzungsformen auf mobilen Szenarien vielleicht erwarten könnte, würde dies beim mobielen Internet die Entwicklung neuer Anwendungen erfordern, um Navigationsanforderungen bei mobiler Nutzung zu reduzieren.

Auf der Grundlage dieser konzeptionellen Vorüberlegungen haben wir für die Nutzerstudien zwei unterschiedliche Anwendungsfelder  ausgewählt, bei denen Entschärfung der skizzierten Problematik des „mobilen Internet“ zu erwarten war: Zum einen lokalisierte und personalisierte Internetdienste, bei denen der Aufwand für die Navigation unterwegs gegenüber dem normalen Internet deutlich reduziert ist; dieser Fall steht für die Entwicklung einer genuin neuen Form der mobilen Mediennutzung. Zum andern mobiles TV, wo wir zwar Probleme aufgrund der Miniaturisierung des Bildschirms vermuteten, ansonsten aber die Erwartung hatten, dass die Übertragung etablierten Medienkonsums auf mobile Nutzungssituationen hier wesentlich problemloser gelingen könnte als beim mobilen Internet. In beiden Fällen waren die Testgeräte Handys, was den Trend zum Handy als dem universalen mobilen Endgerät widerspiegelt.

 

2. Ergebnisse der Nutzerstudien zum mobilen Fernsehen (siehe auch Nutzerstudien zu mobilem Fernsehen)

Obwohl die Bezeichnung als „mobiles Fernsehen“ Assoziationen an klassisches Fernsehen weckt, wurde es von Anbietern zunächst in wichtigen Dimensionen als neues Medium konzipiert: eine neue Form digitaler TV-Übertragungstechnologie (DVB-H), mit neuen, insbesondere interaktiven Anwendungen und neu gestalteten und vor allem in neue Programmformate verpackten TV-Inhalten. Eingeführt wurde mobiles Fernsehen von großen Mobilfunkanbietern in Deutschland zunächst als UMTS-Dienst – also gerade nicht als TV (one to many), sondern IP-basiert (one to one). Bei den Inhalten griff man weitgehend auf existierende TV-Inhalte zurück, allerdings wurden diese nicht eins-zu-eins als Programmkanal übernommen, sondern einzelne Sendungen wurden ausgewählt, neu zusammengestellt und mit Webinhalten und -services verknüpft. Das Konzept hatte nicht zuletzt mit der Position der Mobilprovider zu tun, die Rechte an den von ihnen gesendeten Inhalten einkaufen müssen.

In unserer ersten Studie (Ende 2005) testeten wir mobiles TV auf UMTS-Basis mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Die Befunde ergaben, dass sich die Erwartungen der Testnutzer an der gewohnten TV-Erfahrung ausrichteten. Diese wurden allerdings systematisch enttäuscht, weil das Konzept des Dienstes gerade nicht den klassischen TV-Kanälen entsprach. Das Inhaltsangebot war im Vergleich zum klassischen TV selektiv und oft wenig aktuell. Zudem enttäuschte die technische Qualität des mobilen TV als UMTS-Dienst. Andererseits erwies sich die Möglichkeit, unterwegs fernsehen zu können, in der Zielgruppe prinzipiell als attraktives Angebot für solche Alltagssituationen, in denen man sich gern ablenken lassen möchte (z.B. den Nachhauseweg von der Schule im Bus) oder die man Wartezeiten sinnvoll nutzen möchte.

Die zweite Studie fand während und nach der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in München statt. Als Übertragungstechnologie wurde hier eine neue TV-Übertragungstechnologie (DMB) eingesetzt. Erstmals wurden hier TV-Kanäle eins-zu-eins vom klassischen TV auf das mobile TV übernommen, darunter ARD und ZDF mit allen Fußballspielen, ein News- und ein Musik-Spartenkanal. Daneben gab es als besondere mobile Inhalte das Angebot eines großen Privatsenders mit einem Programmzusammenschnitt, sowie zwei experimentelle lokale Programme. Es wurden 196 Handys, die diese Technologie empfangen können, an Testteilnehmer ausgegeben, die von uns über 7 Wochen intensiv begleitet wurden. Die Befunde zeigen, dass mobiles TV mit den Life-Übertragungen und Berichten auf den klassischen TV-Kanälen aus Nutzerperspektive für ein derart herausgehobenes Medien-Ereignis ein geradezu optimales mobiles Medium ist. Mit dem Ende der WM fiel das Interesse hingegen deutlich ab, ein Drittel der Teilnehmer nutzte mobiles TV überhaupt nicht mehr, zwei Drittel nur noch bei Gelegenheit, d.h. etwa 1-2 mal pro Woche. Die Nutzungsform nach der WM unterschied sich grundlegend von der Nutzung während der WM. Während man in WM-Zeiten schaute, um bestimmte Ereignisse live verfolgen zu können, war es in „normalen“ Zeiten nicht primär das Interesse am Inhalt oder am Ereignis, das zum Fernsehen am Handy motivierte. Vielmehr ging es um Zeitverwendung in Alltagssituation (etwa beim Pendeln, beim Warten, auch beim Essen, in einer Pause etc). In diesen Alltagssituationen sind Nutzungszeiten und -dauer sind durch die Situation bestimmt und häufig kürzer als 15 Minuten.

Die dritte Studie fand ein Jahr später im gleichen Projektverbund mit vergleichbarem Programmangebot statt, allerdings nicht in einer Großstadt mit langen Wegezeiten, sondern in Regensburg. Sie hatte eine Laufzeit von mehr als einem halben Jahr und knapp 100 TestteilnehmerInnen. Auch hier wurden vier klassische TV-Kanäle eins-zu-eins übertragen. Daneben wurden vier lokale Kanäle speziell für mobiles Fernsehen entwickelt, an denen lokalen Medienanbieter (TV, Zeitung, Radio) beteiligt waren. Dabei wurde mit neuen Formaten und Formen des Programmablaufs für mobiles TV experimentiert. Im Verlauf des halbjährigen Tests zeigte sich, das die Mehrheit der Teilnehmer das Angebot bis zum Schluß nutzte und es auch gern weiterhin nutzen würde. Allerdings nur „bei Gelegenheit“, d.h. wöchentlich oder seltener und ohne dafür etwas zahlen zu wollen. Die Erfahrung der Testpersonen läßt sich dahin gehend zusammenfassen, dass es schwierig war für kurze Zeitfenster im Alltag ein interessantes Inhaltsangebot zu finden. Obwohl die Inhalte beim mobilen Fernsehen die gleichen waren wie beim „normalen“ Fernsehen, lassen sich klassische TV-Nutzungsformen nur sehr begrenzt auf mobile Nutzungssituationen übertragen. Mobile TV-Nutzung zeigt ähnliche Merkmalen wie andere Formen mobiler Mediennutzung: Anpassung an unterschiedlich große Zeitfenster mit unterbrochener Nutzung, kürzere und seltenere Nutzung, Nebenbei-Nutzung. Dies wirkt stark selektierend auf Inhalte und Motive. Längere Formate und Entspannungsmotive treten in den Hintergrund, aktuelle Inhalte, News und Musik in den Vordergrund. Da die Hauptmotivation in „normalen“ Nutzungssituationen (ohne herausgehobene Medienereignisse) aber eine typische Zeitverwendungsstrategie ist, bleibt die Nutzung solange gering, wie sie kein passendes Angebot für solche Zeitfenster finden.

Eine entscheidende Hürde für die Herausbildung neuer mobiler TV-Nutzungsformen ist das Fehlen geeigneter Dienste und Features für mehr Zeitflexibilität beim Schauen. Individuelle Anpassung an variable Zeitfenster und Interessen wäre durch technische Unterstützung beim Auswählen, Speichern und zeitversetzten Schauen möglich. Die Lösung ist dabei gerade nicht der individuelle interaktiv gesteuerte Zugriff auf Inhalte in der Nutzungssituation, sondern die technisch unterstützte Auswahl und Speicherung individuell interessierender Inhalte auf dem eigenen Endgerät. Auf diese Weise hätte der Anwender die volle zeitliche Kontrolle. Bei diesem Konzept werden (wie beim Musikhören) Empfang und Auswahl einerseits und das Anschauen andererseits voneinander getrennt. Solche Features sind geplant z.T. sogar als Prototypen entwickelt, die geringe Standardisierung der Systeme auf den mobilen Endgeräten stellt eine wichtige Innovationshürde dar.

 

3. Ergebnisse zur Nutzung von lokalisierten und personalisierten Internetdiensten

Die Bezeichnung Mobiles Internet stand in der ersten Hälfte dieses Jahrzehnts für die Visionen einer neuen Form des Webs für kleine mobile Endgeräte. WAP war eine erste – jedoch mehr oder weniger gescheiterte – Anwendung. Zum Zeitpunkt des Projektstarts waren Anbieter und Entwickler auf der Suche nach neuen Lösungsmodellen für das „Mobile Internet“. Normale Navigation auf dem Display der damaligen Handys war kaum möglich. Personalisierte Anwendungen verfolgten das Ziel, die Komplexität der Navigation während der Rezeption zu reduzieren und damit ein grundlegendes Hindernis der mobilen Internetnutzung zu vermeiden. Die Lösung basiert darauf, die Auswahlmöglichkeiten durch Vorauswahl einzugrenzen, wodurch eine Anpassung der Anwendung an individuelle Interessen und Bedürfnisse gewährleistet werden sollte. Die Vorauswahl kann auf unterschiedliche Weise erfolgen (siehe Kaspar, 2006). Folgende Varianten sind aus Anwenderperspektive relevant. Nutzungsstudien anhand von prototypischen Entwicklungen aus dem TP MI 1 wurden für die Varianten 1., 4., 5. und 6. durchgeführt, für 2. und 3. liegen Studien aus einem Vorläuferprojekt vor. 

1.      Auswahl durch den Anwender, aber nicht in der Nutzungssituation, sondern vorher. Das Lösungsmuster setzt auf die zeitliche Entkopplung von Auswahl und Nutzung/Rezeption. Dabei kann die Auswahl auch stufenweise aufgeteilt werden (Vorauswahl vorab, Fein-Auswahl in der Nutzungssituation). Beispiel: MyUni.

2.      Auswahl durch den Anbieter mit Hilfe eines von Anwender spezifizierten Interessenprofils. Für die Spezifizierung werden standardisierte Profile genutzt, deren Merkmale (Auswahlkriterien) vom Anbieter definiert werden. Beispiel (aus Vorläuferprojekt): Kneipenfinder.

3.      Auswahl durch den Anbieter, formuliert als Vorschläge, die auf der Basis von Kundendaten automatisch generiert werden. Beispiel (aus Vorläuferprojekt): Tarifrechner im Kundenservice eines Mobilfunkanbieters.

4.      Auswahl durch den Anbieter, formuliert als Vorschläge, die aufgrund des Verhaltens anderer Kunden generiert werden, mit denen Ähnlichkeiten bestehen. Beispiel: MyBestBet

5.      Auswahl durch Anbieter auf Grundlage automatisch generierter Informationen über den gegenwärtigen Standort des Kunden (LBS). Beispiel: Handy-Stadtführer.

6.      Auswahl durch Anbieter wie 5., Auswahl nutzt darüber hinaus vorab spezifiziertes Interessenprofil des Anwenders. Beispiel: Handy-Stadtführer mit Personalisierung

Die Ergebnisse zeigen eine große Akzeptanz der Personalisierungsvariante 1: Die Anwender hatten hier vorab eine Auswahl der für sie relevanten Menüpunkte auf der Webseite vorgenommen, wodurch die Komplexität der Auswahl in der Nutzungssituation reduziert werden konnte. Positiv bewertet wurde, dass sie die Vorauswahl selbst durchführen und jederzeit ändern konnten. Der Aufwand für die Vorausauswahl wurde hier als vergleichsweise unerheblich empfunden. Für mobile Nutzungssituationen ist die Entlastung in der Nutzungssituation entscheidend.

Große Akzeptanz fand – im Vorläuferprojekt – auch das Beispiel zur Variante 3. Hier war die die Entlastung der Kunden hoch. Zugleich wurden automatisch generierte Vorschläge als transparent empfunden und positiv bewertet, da den Kunden Datenbasis und Auswahlkriterien eindeutig und plausibel erschienen. Diese Bewertungskriterien zeigten sich auch bei den Nutzungstests im Rahmen des Teilprojekts. Positiv bewertet wurden insbesondere Lokalisierungsdienste, wie z.B. der Handy-Stadtführer, bei denen die Auswahl automatisch Informationen den eigenen Standorts nutzt. Damit ist allerdings das Problem der Fein-Auswahl noch nicht gelöst. Denn gerade bei einer Stadtführung präferieren viele Anwender keine zu stark eingeschränkte Vorauswahl, sie möchten selbst beeinflussen können, wozu sie weitere Informationen erhalten. Die Ergebnisse zeigen, dass für eine positive Bewertung der Navigation in der lokalen Umgebung zwei Punkte wichtig sind: Erstens eine möglichst präzise Verortung auf der Basis zeitnaher GPS-Informationen. Auf dieser technischen Grundlage können Stadtführer die Bewegung des Anwenders im Raum für eine intuitive Navigation nutzen, etwa indem Informationen zu einem Gebäude vom Anwender dadurch (automatisch) ausgewählt werden, dass er darauf zugeht. Zweitens ist für die Anwender wichtig, dass sie selbst aus dem lokalisierten Angebot auswählen können und dabei nicht durch eine enge Vorauswahl beschränkt werden. Dabei fanden situative, selbstgesteuerte Auswahlprozeduren die größte Akzeptanz. In der einfachsten Form handelt es sich hierbei um die Möglichkeit zum Wegklicken einer uninteressanten Information.

Nur eingeschränkte Akzeptanz fanden demgegenüber Personalisierungsvarianten, die dem Kunden zwar Aktivitäten abnehmen, dafür aber undurchschaubar bzw. wenig vertrauenswürdig erscheinen. Ähnliches gilt für Personalisierungsvarianten, bei denen der Kunde eine zu starke Einschränkung seiner Auswahlmöglichkeiten auf das bereits Bekannte befürchtet. Dies betrifft vor allem wenig routinisierte Anwendungskontexte, in denen die Anwender offen für Neues sind. Hingegen werden standardisierte Personalisierungsroutinen bei alltäglichen, routinisierten Nutzungssituationen positiver bewertet. Hier weiß der Kunde, was bei der Vorauswahl selektiert wird. Insgesamt zeigte sich, dass die Kontrolle über die Vorauswahl für Kunden wichtig ist, im Zweifel übernehmen sie diese lieber selbst, als intransparente Auswahlkriterien zu akzeptieren.

 

4. Ausblick

In beiden Untersuchungsfeldern zeigte sich – so unsere zusammenfassende Interpretation der Befunde – ein Trend zur mobilen Nutzung bekannter Medien. Wir haben wenig Anhaltspunkte für die erfolgreiche Nutzung des „mobilen Internet“ als eines neuen Mediums mit neuen Inhalten und/oder Anwendungen gefunden. Stattdessen finden wir Anhaltspunkte für die Nutzung der neuen technischen Möglichkeiten vor allem der Endgeräte, die darauf abzielt, etablierte Medieninhalte mobil zur Verfügung zu haben. Allerdings führt dies weder zu neuen Nutzungsformen noch zu intensiver Nutzung oder breiter Diffusion dieser mobilen Anwendungen. Die bisherige Entwicklung des mobilen Fernsehens kann als paradigmatisch für diesen Entwicklungspfad gelten. Konvergenz beschränkt sich hier auf die Endgeräte, die sich tatsächlich mit großer Geschwindigkeit zu Universalgeräten wandeln. Die Kehrseite der eins-zu-eins Übertragung bekannter Medien ist ein systematisches Spannungsverhältnis zwischen stationärer und mobiler Nutzungsqualität. Mobile Nutzung wird als Ersatz für stationäre Nutzung gesehen, wobei die mobile Nutzung trotz der Qualitätseinschränkungen für die Anwender umso interessanter ist, je stärker das Bedürfnis an der Rezeption einer bestimmten Sendung/eines bestimmten Ereignisses ist. Als entscheidender Fortschritt für die mobile Internetnutzung könnten sich verbesserte Bedienungsfunktionen der Geräteoberflächen erweisen, wie die äußerst berührungssensitive, mehrdimensionale Steuerung des Webbrowsers beim I-Phone zeigt. Dies spricht für einen Entwicklungspfad, der nicht in Richtung genuin neuer Medien und Anwendungen verläuft. Auf Grundlage unserer Ergebnisse ist die absehbare Entwicklung mobiler IuK-Anwendungen vielmehr durch die Übernahme existierender Inhalte und Dienste gekennzeichnet, wobei erweiterte Applikationen der Endgeräte neue Spielräume für mobile Nutzungspraxen ermöglichen. Die Herausforderung besteht aus unserer Sicht darin, solche Features und Applikationen zu entwickeln und zu implementieren.

[ Zwischenbilanz Mai 2006 ]

[ Entwicklung transmobiler Nutzungsformen (Ringvorlesung 25.05.2005)]

 

Veröffentlichungen (Downloads unter Publikationen):

Heidemarie Hanekop (2010): Mobiles Internet und lokaler Raum: Alltag zwischen lokaler Präsenz und "Always Online"; In: Die alte Stadt, Heft 2/2010, S. 135-146.

Heidemarie Hanekop (2008): Begleitforschung im Mobile Media Projekt MI FRIENDS; veröffentlicht in: Entwicklungsmöglichkeiten für Mobile Broadcasting, Kapitel 5, BLM-Schriftenreihe Bd 90, 2009.

Hagenhoff, Svenja; Hogrefe, Dieter; Lossau, Norbert; Schumann, Matthias; Spindler, Gerald; Wittke, Volker (2009): Schlussbericht Forschungsverbund Internetökonomie Göttingen, Göttingen 2008.

Hanekop, Heidemarie, Wittke, Volker (2008): Innovationsbarrieren: Probleme bei der mobilen Nutzung elektronischer Medien. In: Mitteilungen aus dem SOFI, 4, 2008, S.: 6-8.

Hanekop, Heidemarie (2007): Die Herausbildung neuer Nutzungsformen von IuK-Tech­no­lo­gien ? Ein empirisches Forschungsdesign basierend auf Nutzungsexperimenten. 33. Kon­gressband der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (CD).

Hanekop, Heidemarie (2007): DMB-Projekt MI FRIENDS ? Ergebnisse der Begleitforschung München. In: BLM Schriftenreihe Band 86, München.

Hanekop, Heidemarie; Wittke, Volker (2006): Die Entwicklung neuer Formen mobiler Kommu­ni­ka­tion und Mediennutzung. In: Hagenhoff, Svenja (Hrsg.): Internetökonomie in der Me­dienbranche. 2006, Universitätsverlag Göttingen.

Hanekop, H.; Wittke, V. (2006):Die Entwicklung neuer Formen mobiler Kommunikation. In: Göttinger Schriften zur Internetforschung Band 1; Universitätsverlag Göttingen, 2006.

Figge, Stefan; Hanekop, Heidemarie; Hess, Thomas; Hochstatter, Iris; Hogrefe, Dieter; Kaspar, Christian; Rauscher, Barbara; Richter, Markus; Riedel, André; Zibull, Marco (2005): Technische Möglichkeiten und Akzeptanz mobiler Anwendungen - eine interdisziplinäre Betrachtung. In: Wirtschaftsinformatik Bd 47 (2005), S.6-16.

Hanekop, Heidemarie; Wittke, Volker (2005): Der Kunde im Internet. In: Jacobsen, Heike; Voswinkel, Stephan: Der Kunde in der Dienstleistungsbeziehung. VS Verlag, Wiesbaden