Statusbericht - Mobiles Internet

Gegenstand des sozialwissenschaftlichen Projektes in der Säule Mobiles Internet ist der Adaptionsprozess der neuen drahtlosen Kommunikationstechnologien, mobilen Dienste und Anwendungen durch private Anwender. Theoretisch zielt das Projekt auf einen Beitrag zur Innovationsforschung, praktisch stellt es Wissen für Entwickler und Anbieter zur Verfügung, dass dabei helfen kann, mobile Dienste zu entwickeln, die einen Mehrwert für die Nutzer darstellen.

Ausgangsthese des Projektes ist, dass die Diffusion der neuen Technologien und Anwendungen davon abhängt, ob sie von der Entwicklung neuer Nutzungsformen von Anwendern begleitet wird. Nutzungsformen werden dabei verstanden als verfestigte Handlungsweisen von Anwendergruppen, die auf einer gelungenen Kombinationen aus technischen Features, Inhalten/Diensten und sozialen Nutzungspraktiken beruhen. Der Begriff umfasst daher sowohl das von diesen Anwendergruppen mit der Nutzung intendierte Ziel oder Motiv, die konkreten, beobachtbaren Nutzungspraktiken im Umgang  mit den neuen Technologien im Alltagshandeln der Anwender, wie auch die daraus resultierenden Anforderungen an technische Features, Dienste und Inhalte. Die Diffusion neuer Nutzungsformen  schließt – wenn sie breitere Nutzerschichten erfasst – die Herausbildung entsprechender Konventionen und Normen in Bezug auf den sozial adäquaten Umgang mit den neuen Technologien ein. Hiermit erhalten neue Nutzungsformen Stabilität und gewinnen Ausbreitungsdynamik. Aufgabe des Projektes ist es neue oder veränderte Nutzungsformen bereits in ihren Keimformen zu erkennen, zu beschreiben und für die Entwicklung zukünftiger Anwendungen nutzbar zu machen.

Unter dem Eindruck der dynamischen Ausbreitung von Internetdiensten und der sie begleitenden Herausbildung neuer - internetspezifischer Nutzungsformen (Emailen, Surfen, Chatten etc.) lag (bei der Antragstellung) die Erwartung nahe, dass die Adaption der neuen drahtlosen Kommunikationstechnologien und mobilen Anwendungen ebenfalls diesem Adaptionspfad folgen würde. Nach unerwartet zögerlichem Start gewinnt die Diffusion neuer mobiler Anwendungen nun auch bei privaten Anwendern an Dynamik, allerdings nicht fokusiert auf internetbasierte Anwendungen im engeren Sinne, sondern als vielfältiger Strauss unterschiedlicher Nutzungsformen, die zu Hause selbstverständlicher Bestandteil des Alltags sind.  Die bisherige Entwicklung mobiler Nutzungsformen deutet demnach zumindest in der ersten Phase auf einen Adaptionspfad, der weniger auf der „Entdeckung“ völlig neuer Nutzungsformen basiert, sondern vielmehr auf die mobile Nutzung vertrauter Nutzungsformen, markiert durch das Mobiltelefon, den Laptop den iPod nun auch mobiles TV am Handy.

Der bisherige Adaptionspfad mobiler Anwendungen bei privaten Anwendern setzt – so unser Zwischenbefund – bei alltäglichen Formen der Nutzung von IuK-Technologien an, die bisher nicht überall und jederzeit zur Verfügung standen. Intention der neuen mobilen Anwendungen ist, das nun auch an jedem Ort und zu jeder Zeit tun zu können was man auch zu Hause bzw. im privaten Umfeld gern tut. Bezeichnend ist die Übertragung aller möglichen Kommunikations- und Mediennutzungsformen auf mobile Nutzungssituationen.
Triebfeder dieser Nutzungsmotive ist die wachsende Mobilität der Menschen, die wiederkehrende Zeitsequenzen im Alltag hervorbringt, in denen man sich notwendigerweise in öffentlichen Räumen aufhält, ohne mit dem Ort und den dort ebenfalls Anwesenden eine soziale Beziehung zu verbinden. Häufig wird dabei die reale Umwelt gar als störend oder belästigend empfunden.

Gleichzeitig werden die Phasen des Alltags, die man zu Hause, mit der Familie, mit Freunden verbringen kann verkürzt. Eine wesentliches Motiv mobiler Nutzung resultiert aus dem Bestreben, die private Lebenssphäre medial vermittelt auf Orte und Zeiten auszudehnen, die im traditionellen Sinne öffentliche Orte sind, z.B. im Bus, in der Bahn, in Wartesituationen. Grundmotiv der Nutzung ist die mobile Verfügbarkeit von individuell für wichtig erachteten Kommunikations- und Mediennutzungsmöglichkeiten aus der privaten Lebenssphäre. Welche dies konkret sind, variiert nach Person und Situation -  der eine möchte gern im Bus seine Lieblingsmusik hören, auf dem Weg mit der Freundin reden, in der Mittagspause wissen, was in der Welt geschieht oder mal eben seine Lieblingsserie im TV schauen.

In Bezug auf den Adaptionspfad impliziert ein solcher Zwischenbefund eine differenziertere Entwicklung mobiler Kommunikations- und Mediennutzungsformen. Diese Ausdifferenzierung hat – so unser  zweiter Befund - Implikationen für die Adaption der neuen Technologien. Denn nicht für alle mobilen Nutzungsformen werden drahtlose, breitbandige Internetzugänge benötigt, neue Technologien werden von den Anwendern in einer sehr pragmatischen, flexiblen Art und Weise adaptiert, die sich an den konkreten Anforderungen der jeweiligen Nutzungsform und an dem gerade verfügbaren Technologie orientiert. Mit dem Effekt, dass nicht immer die technisch avancierte Lösung eingesetzt wird, sondern diejenige, die die Verwirklichung der konkreten Nutzungsinteressen erlaubt und gerade zu einem vertretbaren Preis verfügbar ist. Nicht immer sind breitbandige Technologien erforderlich. Insbesondere bei der Mediennutzung geht vieles auch ohne den drahtlosen always-on Zugang (z.B. beim iPod); mobiles TV benötigt nicht zwangsläufig einen Rückkanal (s.u.). Im Ergebnis folgt daraus eine Ausdifferenzierung unterschiedlicher Technologien, Leistungsmerkmale, Dienste und Inhalte bezogen auf die verschiedenen Nutzungsformen. Nutzeranforderungen im Bezug auf Technologien und technische Leistungsmerkmale können daher ebenfalls nur für die konkreten Dienste untersucht werden.

Unsere Zwischenbefunde implizieren nun allerdings nicht, dass sich mobil die gleichen Nutzungsformen etablieren werden, wie zu Hause. Wenn man sich die mobile Nutzung genauer anschaut, stellt man fest, dass sie keineswegs ein Abbild des nicht-mobilen Vorläufers ist.  Denn die nicht-mobile Nutzungsform – wie z.B.  das Fernsehen zu Hause – mit ihren konkreten Nutzungspraktiken kann aus unterschiedlichen Gründen (s.u.) nicht – auf mobile Nutzungssituationen übertragen werden. Hier für verantwortlich ist nicht nur das kleinere Endgerät, sondern ganz wesentlich die veränderten situativen Nutzungskontexte, Orte, Zeitsequenzen und die soziale Umgebung. Häufig findet mobile Nutzung in der Öffentlichkeit und nicht in der privaten Umgebung statt. Hierdurch entsteht ein Spannungsverhältnis, das durch eine mehr oder weniger weit reichende Anpassung von Nutzungspraktiken gelöst wird. Wir werden zeigen, dass sich dabei auch die Nutzungsmotive verschieben.

Im Adaptionsprozess bilden sich – so  die daraus folgende These – neue Nutzungsformen auf der Grundlage der bisherigen heraus. Charakteristisch für die Genese der neuen mobilen Nutzungsformen ist, dass die Nutzer bei der Adaption der neuen Technologien ihre bisherigen Gewohnheiten und Praktiken, ihre Art zu kommunizieren, Musik zu hören oder Fernsehen zu schauen verändern.  Dieser Veränderungsprozess ist dabei nur als Prozess der sozialen Aneignung der neuen Technologien adäquat analysier- und beschreibbar. Diesen Prozess kann man bereits bei der „Mobilisierung“ des Telefonierens beobachten, das wir als am weitesten entfaltete Beispiel für diesen spezifischen Adaptionspfad ansehen.

Im Folgenden werden die skizzierten Befunde und Thesen an drei Fällen vertiefen. Zunächst  werden wir die Entwicklung neuer Nutzungsformen beim mobilen Telefonieren schildern. Dabei stützen wir uns auf die mittlerweile breite sozial- und kommunikations­wissen­schaftliche internationale Forschungsliteratur (Literaturliste siehe unter mediaconomy.sofi.uni-goettingen.de).

Anschließend betrachten wir unterschiedliche mobile  Mediennutzungsformen. Im Unterschied zur mobilen Kommunikation sind hier nicht Personen jederzeit und an jedem Ort erreichbar, sondern Dienste und Inhalte. Mobile Nutzung kann ganz unterschiedliche Implikationen für die technische Vernetzung der Nutzer und ihrer Endgeräte haben. Soweit es um Mobilkommunikation geht, ist beispielsweise die ständige Sende- und Empfangsbereitschaft der Kommunikationspartner („always on“) eine zentrale Voraussetzung für die neuen Nutzungsformen, nicht jedoch eine hohe Bandbreite. Dies galt schon für Mobilkommunikation und wird auch für mögliche weitere Veränderungen des Kommunikationsverhaltens – etwa durch die Adaption mobiler E-Mail-Kommunikation – gelten. Wenn es hingegen um mobile Mediennutzung geht, ist „always on“ als Feature weit weniger zwingend. So können beispielsweise Content-Download und Content-Konsum durchaus räumlich und zeitlich auseinander fallen. Dies gilt insbesondere in Fällen wie dem mobilen Musik-Konsum, in denen der zeitlichen Aktualität des Contents keine primäre Bedeutung zukommt. Wir konzentrieren uns bei den Beispielen mobiler Mediennutzung auf zwei sehr unterschiedliche Fälle: mobiles Fernsehen und mobile Internetnutzung (im engeren Sinne). In beiden Fällen liegen eigene empirische Studien zugrunde. Bewusst ausgeblendet bleiben mobile Anwendungen aus dem beruflichen/betrieblichen Bereich, auch wenn die Trennung hier wie auch sonst bei Internetanwendungen nicht wirklich scharf gezogen werden kann. Zum Abschluss ziehen wir ein vorläufiges Resümee und stellen unsere nächsten Untersuchungsschritte vor.

Die Entwicklung mobiler Kommunikationsformen¹

Mobile Kommunikationsformen ermöglichen die soziale Konstruktion eines medial vermittelten Kommunikationsraums, in dem enge soziale Bezugspersonen trotz physischer Abwesenheit jederzeit anwesend sein können. Die für moderne Gesellschaften typische Mobilität und Flexibilität der Lebensweise begrenzt die Zeit der Anwesenheit in alltäglichen sozialen Beziehungen – immer länger ist man hingegen in Situationen, in denen man üblicherweise gerade nicht kommuniziert, weil man die dort Anwesenden nicht kennt und oft genug auch nicht näher kennen lernen will: auf dem Weg zur Arbeit, zu einem Termin oder in einer fremden Stadt. Man kann die Art und Weise, wie mobile Kommunikationstechnologien im privaten Alltag angeeignet werden, daher auch als Reaktion auf die Mobilitäts- und Flexibilitätsanforderungen moderner Gesellschaften interpretieren.

Entscheidend ist die Möglichkeit zu jederzeitiger „Fern-Anwesenheit“ in vertrauten sozialen Kontexten. Sie erlauben die Fortführung und Intensivierung von engen persönlichen Beziehungen trotz zeitweiliger Abwesenheit, die Koordination des gemeinsamen Alltags trotz räumlicher Trennung und die emotionale Rückversicherung. In der sozialwissenschaftlichen Forschungsliteratur wird diese mobile Kommunikationsform durch die Metapher „Absent Presence“ (Gergen 2002) bezeichnet. Katz und Aakhus sprechen vom „Perpetual Contact“ (Katz 2002) und Burkhart (Burkhart 2000) beschreibt die soziale Konstruktion eines neuen Kommunikationsraums, der vom physischen Raum abgekoppelt ist und dennoch oder gerade deswegen die Poren des Alltags durchdringen kann. Denn mobile Kommunikation verlängert – so die These – die Anwesenheit in primären sozialen Kontexten (Familie, Freunde, enge Kollegen) in solche Phasen des Alltags hinein, in denen man sich zwar an getrennten Orten aufhält, aber dennoch miteinander in Kontakt bleibt.

Mobilkommunikation von privaten Anwendern konzentriert sich auf Personen, die im realen Alltag eine wichtige Rolle spielen. Mobilkommunikation ist für enge soziale Beziehungen „reserviert“. Gergen spricht von einer Erweiterung und Revitalisierung der Face-to-face-Beziehungen (Gergen, 2002: 237). Inhaltlich geht es vornehmlich um Alltägliches bis hin zu scheinbar Belanglosem. Zum einen werden Absprachen oder Verabredungen in Bezug auf den gemeinsamen Alltag getroffen. Erlebtes wird spontan mitgeteilt, und es geht um die Vermittlung emotionaler Nähe. Höflich (Höflich 2003: 39ff) bezeichnet diese Form des Austauschs von eigentlich inhaltsleeren Mitteilungen als „Rückversicherung“, man möchte wissen, dass der Andere noch „da“ ist oder zeigen, dass man an die betreffende Person denkt, ihr „nah“ ist. In Studien über die Nutzung im Familienkontext wird der Begriff „Remote Mothering“ benutzt, um die neuen Möglichkeiten der Koordination zu beschreiben, die erweiterte Spielräume und mehr Flexibilität sowohl für die (vielfach berufstätigen) Mütter als auch für die Kinder bringen können (Feldhaus et al. 2004). Mobiles Telefonieren eröffnet auch neue Möglichkeiten, sich sozialer Kontrolle zu entziehen, dies ist ein Grund für die stürmische Aneignung mobiler Kommunikationstechnologie durch Jugendliche (vgl. Feldhaus 2004, Ling/Yttri 2002).

Technisch vermittelte Fern-Anwesenheit hebt die reale Anwesenheit „vor Ort“ nicht auf, sondern tritt neben sie – häufig genug plötzlich und unerwartet. Der mobile Anruf kann den Angerufenen in (fast) jeder Situation „treffen“: während der Zugfahrt, beim Einkaufen, in der Schule, mitten in einer wichtigen Arbeit oder beim Essen mit Freunden. In der sozialwissenschaftlichen Literatur wird dieser potentielle Konflikt als „Verdopplung“ der Anwesenheit  diskutiert. Daraus ergibt sich ein Spannungsverhältnis zwischen der „Fern-Anwesenheit“ beim Telefonieren und der realen Anwesenheit in der Situation vor Ort. Dies führt zu möglichen Konflikten. Um diese zu vermeiden haben sich Normen für den Umgang mit dem Mobiltelefon herausgebildet, z. B. dass man das Klingeln des Handys im Kino, Theater oder auf Veranstaltungen unterbindet. Die Etablierung solcher Normen und Konventionen ist aus soziologischer Perspektive wichtig für die Entwicklung mobiler Kommunikationsformen, damit  der potentiellen Ausdehnung der Erreichbarkeit (anytime und anywhere) Grenzen gesetzt werden müssen. Diese Grenzen werden normativ eingefordert. Die daraus erwachsenden Anforderungen an die Nutzer spiegeln sich in der Nutzungspraxis wider und formen die Entwicklung der technischen Features um die jederzeitige Erreichbarkeit zu steuern. Die daraus erwachsenden Anforderungen an mobile Kommunikationsdienste haben die Entwicklung der technischen Features und Dienste geprägt (Voicebox, Anruferlisten, Rückruf, Lautstärke, Vibration, SMS etc).

Das Mobiltelefon ist ein persönliches Gerät, das man immer bei sich trägt. Dies hat Implikationen für die Entwicklung neuer Features und Dienste hat (z.B. das Telefonbuch, gespeicherte SMS oder MMS, Klingeltöne, persönliche Bilder, persönliche Videos). Downloads mit unterschiedlichen Inhalten sind wichtigste Inhalte, die mobil gekauft werden. Hinzu kommt die ständige Erweiterung der Leistungsfähigkeit und der Funktionen des mobilen Endgerätes durch die Integration von zusätzlichen Hardwarekomponenten (z. B. immer leistungsfähigere Kameras, bessere Lautsprecher für das Musikhören, Speichermedien) Softwaremodule (z. B. Büroanwendungen, MP3-Player, Videoplayer usw) und neuerdings mobiles Fernsehen. Das Mobiltelefon ist auf dem Weg, zu einem mobilen Universalgerät zu werden.

Die Entwicklung mobiler Mediennutzung²

Mobile Mediennutzung hat konventionelle Vorläufer, bei denen die Inhalte dadurch verfügbar sind, dass der Nutzer diese in materieller Form mit sich trägt – ob als Printprodukt oder auf einem elektronischen Speichermedium. Diese traditionelle Art der Verfügbarkeit von Medien hat wichtige Konsequenzen für die mobile Nutzung: „Mitnehmen“ setzt voraus, dass man die Inhalte bereits hat. Damit fallen Beschaffung und Nutzung medialer Inhalte zeitlich wie räumlich auseinander. Das „Mitnehmen“ setzt der mobilen Verfügbarkeit von Medien damit zugleich deutliche Grenzen. Da man nicht alles mitnehmen kann, muss vorab entschieden werden, welche Inhalte man später nutzen will. Der Zwang zur Vorauswahl schränkt den mobilen Konsum konventioneller Medien ein und birgt zudem das Risiko, dass man im Zweifel das Falsche mitgenommen hat. Gleichzeitig jedoch reduziert diese Einschränkung aufwändige Such- und Auswahlprozesse in mobilen Situationen, wodurch unterwegs auch kurze Zeitfenster sinnvoll für den konventionellen Medienkonsum genutzt werden können.

Durch Online-Medien ist ein jederzeitiger Zugang zu medialen Inhalten möglich, man muss nichts mehr mitnehmen und die Realisierung spontaner, vorab nicht antizipierter Nutzungswünsche ist prinzipiell möglich. Ebenso wie der Zugriff auf aktuelle Informationen, und auf Informationen, nach denen der Bedarf typischerweise erst unterwegs entsteht: Informationen über die Straßenverkehrslage oder Informationen zur Orientierung am Aufenthaltsort etc.
In mobilen Internetdiensten sollen diese Potentiale durch die neuen drahtlosen Übertragungstechnologien in Verbindung mit neuen Endgeräten realisiert werden. Dabei wird üblicherweise unterstellt, dass der orts- und zeitunabhängige Internetzugang erweiterte Nutzungsmöglichkeiten bietet, denen keine ernsthaften Einschränkungen gegenüber stehen. Wir vermuten demgegenüber, dass die Entwicklung solcher Dienste auch deswegen zögerlich erfolgt, weil diese Annahme trügerisch ist und den Blick auf Schwierigkeiten und mögliche Lösungsperspektiven bei der Entwicklung neuer Formen mobiler Mediennutzung verstellt (s.u.). Wir Im Folgenden wollen wir zeigen, dass auch ohne  mobile Übertragungstechnologien und ohne „always on“ neue Formen mobiler Mediennutzung möglich sind, deren Potential in der Debatte häufig unterschätzt wird. Wir werden dieses Argument am Beispiel des iPOD deutlich machen. Und wir wollen belegen, dass „always on“ im Fall mobiler Mediennutzung für die Nutzer sehr viel ambivalenter ist als im Fall der Mobilkommunikation, weil die Schwierigkeiten und Probleme unterschätzt werden, die mit der mobilen Nutzung der klassischen,  stationären Internetdienste verbunden sind. Wir unterscheiden drei Typen mobiler Mediennutzung:

 

  • Mobile Mediennutzung, bei der die jederzeitige Verfügbarkeit auf dem Speichern digitaler Inhalte auf einem mobilen Endgerät beruht, ein mobiler Online-Zugang ist nicht zwingend erforderlich. Beispiel iPOD: jederzeitige Verfügbarkeit der persönlichen Musiksammlung und Vernetzung des mobilen Endgerätes mit stationärem PC+Internetzugang. Das Nutzungsmuster beruht auf der Trennung von Beschaffung/Suche der Inhalte und  mobilem Musikkonsum. Aufmerksamkeit beanspruchende Such- und Auswahlprozesse müssen nicht in der mobilen Nutzungssituation vorgenommen werden. Mobile Nutzungsformen nach diesem Muster haben sich dynamisch entwickelt. Auch das Handy selbst wird zunehmend zu einem Gerät, auf dem alle möglichen privaten Inhalte mitgenommen werden.
  • Mobile TV-Nutzung, hier bezieht sich der Zugewinn an Verfügbarkeit auf eine gesamtes Medium mit hoher Nutzungsquote. Gleichzeitig sind die Anforderungen durch Auswahlprozesse aufgrund fester Programmstruktur und begrenzten Sendekapazitäten eingeschränkt (Broadcast- oder Pushmedium). Der hohe Unterhaltungsanteil scheint passt besonders gut zu mobilen Anwendungsszenarien in denen man Wartezeit sinnvoll füllen möchte.
  • Mobile Mediennutzung, durch die der jederzeitige Zugriff auf das gesamte Internet möglich ist; ein mobiler Online-Zugang ist zwingend erforderlich. Suche/Beschaffung und Konsum fallen in der mobilen Nutzungssituation zusammen (Pull). Dies impliziert hohe Anforderungen an den Nutzer (Navigation) sowie an Endgeräte (Display) und Dienste. Lösungsvarianten sind Vorselektion am PC, technisch gestützte automatische Vorselektion (z.B. durch LBS), Profilbildung und Personalisierung.

Die Entwicklung mobiler TV-Nutzung

Die Anziehungskraft mobiler TV-Nutzung basiert auf der ubiquitären Verfügbarkeit von viel genutzten massenmedialen Inhalten, Sendungs- und Programmformaten, deren Nutzung stark habitualisiert ist und die einen hohen Unterhaltungsanteil aufweisen. Dies spiegelt sich in den Motiven mobiler TV-Nutzung, die wir in einer empirischen Studie über UMTS-basierte TV-Dienste erhoben haben.

Für die meisten Nutzer gilt, dass die Zuwendung zum mobilen Fernsehen nicht auf spezifischen Selektionsentscheidungen, sondern dem Empfinden von leerer Zeit und dem Bedürfnis diese Zeit zu füllen folgt. Nach Meinung der Befragten bieten sich hier am ehesten Wartesituationen oder Bahn- bzw. Busfahrten an. Hier entstehen trotz der Ausübung einer notwendigen Aktivität Zeitreste, die mit Paralleltätigkeiten sinnvoll gefüllt werden können. Im Mittelpunkt des Interesses steht Ablenkung bzw. Spaß haben. Entspannende Unterhaltung als Motiv fällt ebenso hinter die klassische TV-Nutzung zurück, wie Informationssendungen. Ein weiteres Motiv für mobile TV-Nutzung resultiert aus dem Bestreben, die private Lebenssphäre medial vermittelt auf Orte und Zeiten auszudehnen, die im traditionellen Sinne öffentliche Orte sind, z.B. im Bus, in der Bahn, in Wartesituationen. Die wachsende Mobilität der Menschen bedingt wiederkehrende Zeitsequenzen im Alltag, in denen man sich notwendigerweise in öffentlichen Räumen aufhält, ohne mit dem Ort und den dort ebenfalls Anwesenden eine soziale Beziehung zu verbinden. Vielfach wird die reale Umwelt gar als störend oder belästigend empfunden. Mediennutzung ist in solchen Situationen getrieben von dem Bemühen sich zu distanzieren, zu ignorieren oder ihnen auf angenehme Weise zu entfliehen. Eine andere Art mit dem Spannungsverhältnis zwischen Mediennutzung und realer vor Ort Anwesenheit umzugehen, besteht darin bewusst beides gleichzeitig zu tun. In beiden Fällen ist es wirkt die reale Umwelt als Störfaktor, der die Aufmerksamkeit beim Fernsehen beeinträchtigt. Dies muss bei den technischen Merkmalen der Geräte und der Gestaltung der Inhalte berücksichtigt werden.
Die Befunde der ersten empirischen Studie zeigen deutlich ein Spannungsverhältnis, das daraus resultiert, dass sich herkömmliche Formen der stationären Fernsehnutzung nur eingeschränkt auf mobile Situationen übertragen lassen. Die Handlung Fernsehen, die traditionell in den eigenen vier Wänden und unter Minimierung aller möglichen Störfaktoren stattfindet, muss unter solchen Bedingungen nicht nur neu definiert und bewältigt werden, sie evoziert auch neue Anforderungen an die technische und inhaltliche Gestaltung dessen, was wir Fernsehen nennen. Die Ursache liegt weniger in den (noch) bestehenden technischen Restriktionen mobiler Endgeräte, sondern in der Divergenz von mobilen und fixen Nutzungssituationen. Im Vergleich zur habitualisierten Fernsehnutzung zu Hause treten bei der mobilen Nutzung neue und häufig unkontrollierbare Randbedingungen hinzu, welche die herkömmlichen Formen der Fernsehrezeption (Inhalte, Dauer, Aufmerksamkeit) verändern und entsprechende Anpassungen mobiler Fernsehdienste erfordern.

Hieraus ergeben sich vielfältige Anforderungen, zum einen an die Übertragungs- und Darstellungstechnologien und das mobile Endgerät. Die Ausschöpfung von Mehrwertpotentialen erfordert darüber hinaus die Entwicklung „mobiler“ TV-Angebote, d.h. eine Anpassung des Angebots an die mobilitätsbedingten Nutzungsformen. Dies hat weit reichende Auswirkungen für die Aufbereitung und Distribution von entsprechenden Video- und Fernsehinhalten (z.B. Anpassung der Formate: Bildausschnitt, Länge, Dramaturgie) sowie für die Funktionalität der Endgeräte (z.B. Verbesserung des Auswahlmodus: Zapping, Video-on-Demand etc.). Die Anforderungen der Nutzer an Endgeräte , Dienste, Auswahl, Programmgestaltung, Sendeformate, Art der Inhalte und deren Gestaltung der Inhalte ist das zentrales Thema unserer laufenden umfangreichen Begleitforschungsstudie in einem Pilotprojekt zum DMB-TV in München steht. Partner sind unter anderen die Bayrische Landesmedienanstalt, der Bayrische Rundfunk das IRT (das Projekt findet sich unter www.mi-friends.org).

Die Entwicklung mobiler Internetnutzung³

Mobile Internetnutzung könnte aus Anwenderperspektive sowohl die jederzeitige Erreichbarkeit von Personen (per Email), die jederzeitige Verfügbarkeit von Informationen und anderen Inhalten im www, wie auch vielfältige Services bieten, die man immer und an jedem Ort nutzen kann. Allerdings ist in Bezug auf die mobile Nutzung des www am Handy das Spannungsverhältnis zwischen der Komplexität der Inhalte und den Anforderungen interaktiver Navigation und mobilen Endgeräten und Nutzungssituationen offenbar besonders hoch. Mobiles Emailen hingegen hat unter privaten Anwendern mit der SMS eine eingeführte und kostengünstige Alternative. Hier könnte das teurere Endgerät eine (möglicherweise vorübergehende) Hürde darstellen. Insgesamt besteht noch erheblicher Forschungsbedarf, dem wir mit weiteren Studien Rechnung tragen werden. Im Folgenden fassen wir unsere bisherigen Befunde kurz zusammen.

Mobile WWW-Nutzung

Charakteristisch für die klassische WWW-Nutzung ist die Suche nach Informationen und die Interaktivität der Navigation. Suche, Auswahl, Beschaffung und Rezeption von sind eng ineinander verwoben.  Die Nutzung des WWW erfordert daher komplexe Such- und Selektionsprozesse in der mobilen Nutzungssituation, die vom Nutzer Aufmerksamkeit, Konzentration und häufig auch einen beachtlichen Zeitaufwand fordern. Diese hohe Eigenaktivität der Nutzer in der mobilen Situation impliziert weit reichende Anforderungen an den Nutzer (Hanekop/Wittke 2005). Komplexe Such- und Selektionsprozesse stehen allerdings häufig in Widerspruch zu den Bedingungen mobiler Nutzungskontexte. Die äußeren Rahmenbedingungen für komplexe Navigationsprozesse sind vielfach unzureichend und auch die Zeitstruktur ist stärker restringiert als im Büro oder Zuhause. Selbst wenn die Nutzer in mobilen Situationen am raschen und unkomplizierten Zugriff auf fehlende Informationen oder Inhalte interessiert sind, erschweren diese Rahmenbedingungen die Suche anstatt ihn zu erleichtern. Der Vorteil mobiler WWW-Nutzung, die Möglichkeit auf einen breiten Content-Fundus ohne einschränkende Vorauswahl zugreifen zu können, geht im Kontext mobiler Nutzungsbedingungen mit erheblichen Nachteile einher, die in der gängigen Debatte häufig unterschätzt werden. Dies muss nicht prinzipiell gegen die mobile WWW-Nutzung sprechen. Doch für die weitere Entwicklung wird es wichtig sein, ob und wie das Such- und Selektionsproblem in mobilen Nutzungssituationen gelöst werden kann.
Diese allgemeinen Nachteile mobiler WWW-Nutzung könnten dadurch kompensiert werden, dass der private Anwender einen besonderen Mehrwert erhält, z.B. dass spezifische Informationsbedarfe befriedigt werden, die aus der räumlichen Mobilität entstehen, z. B. Informationen über einen ihm fremden Ort. Der Umfang der angebotenen Informationen läßt sich darauf begrenzen, um Komplexität zu reduzieren. Mobile Anwendungen sollen dem Kunden die Informationen liefern, die er gerade benötigt: aktuelle, individuelle und situationsbezogene Informationen. Viele dieser Anwendungen beziehen sich auf Orientierungsbedürfnisse im weitesten Sinne, von Informationen über die nächste Apotheke, Hinweise auf interessante Kneipen, das Kinoprogramm bis hin zu kompletten Verkehrsinformationssystemen. Diese Anwendungen sind darauf ausgelegt dem Kunden komplexe Such- und Navigationsvorgänge während der mobilen Nutzung abzunehmen. Eine Lösungsvariante mit automatischer Vor-Selektion sind Location Based Services (LBS). Sie nutzen die Lokalisierungsfunktion von UMTS oder GPS, um den genauen Standort des Anwenders automatisch zu bestimmen. Mit dieser Information kann der Anbieter eine Vorauswahl treffen, z. B. die nächstgelegene Apotheke vorschlagen oder einen Stau auf der geplanten Reiseroute ankündigen und eine Ausweichroute anbieten. Der Nutzer bekommt diese Informationen ohne sie selbst suchen zu müssen. Das Selektionsproblem ist durch den Einsatz der neuen Technologie entschärft, er erhält individuell und situativ angepasste Vorschläge zur Lösung seines Orientierungsproblems. Das Problem solcher Anwendungen ist die realistische Antizipation der Informationsbedürfnisse von potentiellen Anwendern und fehlendes Vertrauen des Kunden in die systembasierte Beratung ohne face-to-face Interaktion.

Reine Navigationsanwendungen (GPS) realisieren eine andere Lösungsvariante. Hier ist der Grunddatenbestand, auf den die Nutzer zurückgreifen,  auf dem Endgerät gespeichert (offline). Das Gerät holt die darüber hinaus benötigten Informationen selbsttätig (über GPS oder / und GPRS / UMTS) ein. Der Kunde muss  eigentlich unterwegs nicht viel tun – er teilt seinem Navigationsgerät lediglich sein gewünschtes Ziel mit. Zudem ist der Aktualisierungsbedarf relativ begrenzt. Navigationsanwendungen sind, so gesehen, ein Beispiel, dass ähnlich wie der iPOD nur begrenzt in den Online-Adaptionspfad passt.

Zeitkritische Anwendungen, wie z. B. eine laufende ebay-Auktion, erzeugen Informationen, die der Nutzer ortsunabhängig erhalten möchte, um auch unterwegs weiter mitbieten zu können. Das Suchproblem tritt hier nicht auf, denn der  Anwender interessiert sich nur für die bestimmte WWW-Seite, die er leicht nebenbei verfolgen kann. ebay ist bezeichnenderweise ein Anbieter, der mobile WWW-Seiten betreibt, die auch genutzt werden. Ein anderer Fall für zeitkritische Informationen sind Sportevents oder andere Großereignisse. Auch hier ist das Interesse des Nutzers von vorn herein begrenzt. In beiden Beispielen wird die Auswahl einmal getroffen, die Aktualisierung erfordert i. d. R. keine weiteren Selektionsaktivitäten des Nutzers. In anderen Fällen wird die Selektionsentscheidung des Anwenders in der mobilen Nutzungssituation durch das Anlegen eines individuellen Nutzerprofils vorbereitet (siehe Teilprojekt Mi 1).

Vorläufiges Resumé

Unser bisherigen Befunde zeigen, dass sich auch unter privaten Anwendern ein Adaptionspfad ubiquitär verfügbarer Technologien, Dienste und Inhalte herausbildet, der bereits in einigen Anwendungsfällen zum Take-off führt. Dabei ist eine Ausdifferenzierung mobiler Kommunikations- und Mediennutzungsformen zu beobachten, in deren Gefolge es ebenfalls zu einer Ausdifferenzierung von Technologien, Leistungsmerkmalen, Diensten und Inhalten bezogen auf die verschiedenen Nutzungsformen kommt. Wir haben in den vorgestellten Anwendungsfällen argumentiert, dass die mobilen Nutzungsformen zunächst an vertraute, im Alltag habitualisiert genutzte nicht-mobile Nutzungsformen ansetzen. Dass sie sich aber unter dem Einfluss mobiler Nutzungskontexte im weiteren Entwicklungsprozess grundlegend verändern. Grund dafür das (in den einzelnen Nutzungsformen unterschiedliche ausgeprägte) Spannungsverhältnis zwischen etablierten (nicht-mobilen) Nutzungsformen und den mobilen Nutzungskontexten. Hieraus ergeben sich Anforderungen an technische Features, Inhalte und Dienste, die in Bezug auf die verschiedenen Nutzungsformen untersucht werden, um einen Beitrag zur Weiterentwicklung der neuen Technologien und Anwendungen zu leisten. 

 

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¹Grundlage ist die Auswertung internationaler sozialwissenschaftlicher Forschungsergebnisse, Literaturliste unter mediaconomy.sofi.uni-goettingen.de

²Grundlage sind eigene empirische Studien zu UMTS-Handy-TV und eine umfangreiche Begleitforschung zum DMB-TV Pilotprojekt zur WM 2006 mit über 200 Teilnehmern, die den Dienst über 7 Wochen nutzen können (laufend)

³Grundlage sind eigene empirische Studien zur portablen Nutzung mittels Laptop, zu LBS-Services und personalisierten Informationsservices